Auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft

Das Wort „Nachhaltigkeit“ ist seit einigen Jahren in aller Munde. Mittlerweile gibt es dazu Vorgaben und Gesetzes-Entwürfe auf allen Ebenen. Für die Wirtschaft in Bonn und dem Rhein-Sieg-Kreis bedeutet das, dass sie sich spätestens jetzt auf den Weg machen muss. Wie das gehen kann? Dazu zeigen wir in diesem Artikel einige interessante Beispiele!

Ab dem Jahr 2045 soll Deutschland klimaneutral sein. Das heißt, Wirtschaft und Verbraucher dürfen nur noch so viel Treibhausgas produzieren wie zum Beispiel durch Speicherung von CO2 aus der Luft oder auch durch Aufforstung der Wälder ausgeglichen werden kann. Fünf Jahre später gilt das Gebot der Klimaneutralität auch auf europäischer Ebene. Besser als den CO2-Ausstoß zu kompensieren ist es natürlich, ihn gar nicht erst zu verursachen. Stichwort: Vermeiden, vermindern, kompensieren.

Dr. Darya Hirsch vom Internationalen Zentrum für nachhaltige Entwicklung der Hochschule Bonn/Rhein-SiegNatürliche Ressourcen wie fossile Brennstoffe, Mineralien, Erze und Biomasse werden für fast jede Produktion gebraucht. Seit 1970 hat sich der weltweite Verbrauch dieser Stoffe verdreifacht. Durch den hohen Verbrauch kann die Erde sich nicht mehr regenerieren. Diese Entwicklung zu immer mehr Wohlstand ist endlich. Helfen kann eine Kreislaufwirtschaft, in der die Energie- und Materialkreisläufe möglichst geschlossen werden. Zum Beispiel durch Wiederverwendung, langlebige Konstruktionen und Instandhaltungen.

Drei Säulen der Nachhaltigkeit

Die IHK Bonn/Rhein-Sieg gliedert Nachhaltigkeit in drei Säulen: Ökologie, soziale Verantwortung und Ökonomie. Sie möchte Unternehmen auf ihrem Weg zu mehr Nachhaltigkeit beraten und unterstützen. Einen Teil der Klimaschutz-Ausgaben wird der Staat finanzieren. So hat die Bundesregierung angekündigt, acht Milliarden Euro im Rahmen des Pakets „Sofortprogramm 2022“ beizusteuern. Auch das Land NRW hat für den Ausbau der Kreislaufwirtschaft ein neues Corona-Sonderprogramm mit bis zu zehn Millionen Euro aufgesetzt. Die Förderquote beträgt hier bis zu 60 Prozent.

Die Veränderungen in den Unternehmen werden spürbar. Dr. Darya Hirsch vom Internationalen Zentrum für nachhaltige Entwicklung der Hochschule Bonn/Rhein-Sieg sagt: „Schon in den 1980er Jahre entstanden systematische Ansätze: Ökologie, Ökonomie und Soziales beeinflussen sich sehr stark.“ Dazu gibt es an der Hochschule nun einen eigenen Studiengang „Nachhaltige Ingenieurwissenschaft“. Die Studierenden lernen in dem Studiengang, in Systemen zu denken und neue Methoden wie z.B. Lebenszyklus-Analyse oder soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit in ihrem späteren Berufsleben miteinzubeziehen.

 „Das Thema wird kommen, ob Unternehmen das wollen oder nicht“, bestätigt Alina Turnwald, Referentin für Nachhaltigkeit bei der IHK Bonn/Rhein-Sieg. „Daher ist es sinnvoll, sich damit zu beschäftigen.“

Bisher wenige Daten aus der Region

Wer jetzt handelt, könne daraus später einen Wettbewerbsvorteil machen, so Turnwald weiter. So sieht es auch Inhaber Werner Böhm, zuständig für Marketing und Sales beim Familienunternehmen Pro Trockeneis in Rheinbach: „Für mich ist das überhaupt keine Frage, in Nachhaltigkeit zu investieren ist nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch sinnvoll.“ Für sein Engagement hat Pro Trockeneis schon einige Preise gewonnen. Unter anderem den Ludwig 2020 und den Ideenmarkt #NachhaltigWirtschaften 2020/21 in der Kategorie „Best of Ökologie“. Mit neun Mitarbeitern und einigen freien Spezialisten stellt die Firma aus Rheinbach Trockeneis zur Kühlung etwa von Impfstoffen her. Seit Jahren machen sich die Mitarbeiter und Firmenchefs Gedanken darüber, wie sie die Produktion energieeffizienter und damit ressourcen-schonender machen können. Dabei sind schon viele Ideen entstanden, die später zum Verkaufsschlager wurden.

Werner und Alexander Böhm haben die Firma Pro Trockeneis gemeinsam zum Erfolg geführt. So wie Böhm haben sich mittlerweile auch andere Unternehmen auf den Weg gemacht. Manche zögern, auch weil es noch zu wenig Hinweise gibt, wie die Ziele umgesetzt werden sollen. Das kritisiert auch Kevin Ehmke, Referent für Industrie, Innovation, Umwelt und Energie der IHK Bonn/Rhein-Sieg: „Die Politik setzt ambitionierte Ziele, die vielen verantwortungsvollen Unternehmen aber die Perspektive für die Zukunft nehmen. Was sollen etwa Betriebe tun, die mit Hochöfen arbeiten und ihre Prozesse nicht CO2-frei gestalten können?“ Ein erster Schritt ist es, die eigene CO2-Bilanz zu kennen. Dazu gibt es kostenfreie Beratung von der Effizienz-Agentur NRW (EFA). Dort bekommt man auch Informationen zu den Fördermitteln von Bund und Land. „Für einige Unternehmen wird es ohne Zuschüsse nicht gehen“, so Ehmke weiter. „Viele sind durch Corona seit knapp zwei Jahren in der Krise. Die werden nun sicherlich nicht mit Bordmitteln für mehr Nachhaltigkeit sorgen können“.

Wie schaffen wir mehr Nachhaltigkeit?

Susanne Skiba ist Marketing-Beauftragte im Familienunternehmen andres.Um das zu beantworten, muss man Nachhaltigkeit erst einmal messbar machen. Dafür gibt es viele Werkzeuge. Zum Beispiel können sich Firmen am Deutschen Nachhaltigkeits-Kodex orientieren. Zu 20 Kriterien gibt es dort Erklärungen und Checklisten (siehe unten). Man kann sich auch nach den Vorschlägen der Gemeinwohl-Ökonomie richten. Dort gibt es Stichpunkte, nach denen man eine entsprechende Bilanz erstellen kann.

Wichtig ist es, nicht alles auf einmal anzugehen. Besser ist es, einzelne Felder auszusuchen und die Nachhaltigkeit im Unternehmen langsam aber stetig wachsen zu lassen. Vielleicht sind ja auch schon viele Punkte erfüllt. So ging es zum Beispiel der andres GmbH aus Niederkassel: Die Firma stellt vor allem Displays her, also spezielle Verkaufsregale für den stationären Handel. 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sorgen für Design, Fertigung und Vertrieb unter einem Dach und schaffen damit kurze Wege. Kosmetikartikel, Süßwaren oder auch Werkzeug können so ansprechend präsentiert werden, zum Beispiel wenn Produkte neu auf den Markt kommen.

Neben Holz ist andres auf der Suche nach weiteren recycelbaren Materialien.„Wir haben schon immer Ideen entwickelt, um die Nutzungsdauer der Displays zu verlängern. Und welche Werkstoffe wir alternativ zu konventionellen Materialien wie Kunststoff nutzen können. Das und auch unsere neuen Entwicklungen sparen wertvolle Rohstoffe und wirken sich positiv auf die CO2-Bilanz aus“, erläutert Susanne Skiba, zuständig für Marketing und PR bei andres. Das Unternehmen arbeitet mit der Effizienz-Agentur NRW zusammen, die die Firma unter anderem bei der Erstellung der ersten CO2-Bilanz kostenlos beraten hat. Ein Beispiel: Die Bilanz für ein Thekendisplays ergab eine CO2-Reduktion von 70 Prozent, dabei wurde herkömmliches Acrylglas durch Greencast® ersetzt. Das ist zu 100 Prozent recyceltes gegossenes Acrylglas. Und das Beste: Wird das Display am Ende der Kampagne nicht mehr benötigt, ist das Material wieder recycelbar.

Zusätzlich ist das andres-Team immer auf der Suche nach Naturmaterialien oder neuen alternativen Werkstoffen und hat in diesem Zusammenhang erste Kontakte zur Hochschule Bonn/Rhein-Sieg geknüpft. Faserguss-Materialien aus Altpapier könnten zum Beispiel bald für die Konstruktion der Displays genutzt werden. Auch mit Bambus oder einem Werkstoff auf Basis von Reishülsen (einem Abfallprodukt aus der Lebensmittelindustrie) hat der firmeneigene Musterbau bereits vielversprechende Tests durchgeführt. „Nachhaltige Produkte werden zunehmend von den Kunden nachgefragt. So sind die alternativen Materialien und ressourcenschonende Produktion für uns echte Wettbewerbs-Kriterien“, so Marketing-Frau Skiba.

Fokus auf Chancen

Diese Maschinen zur Herstellung von Trockeneis sind mittlerweile selbst ein Verkaufsschlager geworden.Gut ist es, wenn in der Veränderung auch die Chancen gesehen werden. In der Bilanz kann man jedes Jahr festhalten, was schon da ist und was sich geändert hat. Und vielleicht ist es auch interessant, die Stakeholder zu fragen, wo sie das Unternehmen in Sachen Nachhaltigkeit sehen. Die Kunden und Partner kennen das Unternehmen und haben womöglich wertvolle Tipps. 

Pro Trockeneis aus Rheinbach ist in der eigenen Branche ein Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit: Zur Herstellung von Trockeneis bei minus 80 Grad wird der Rohstoff CO² benötigt. Dieser kommt beim Unternehmen zum großen Teil aus natürlichen Fermentationsprozessen und nicht aus industrieller Produktion. Bis Ende 2021 ist die komplette Umstellung auf biogenes CO² geplant. Aber die Macher von Pro Trockeneis haben weiter getüftelt. Bei der Produktion von Trockeneis geht physikalisch die Hälfte des Kohlenstoffdioxids im Herstellungsprozess verloren und belastet die Umwelt. Die Rheinbacher setzen daher sogenannte Rückverflüssigungsanlagen ein. Diese fangen das Gas auf und führen es dem Produktionsprozess wieder zu. Mit der Abwärme dieser Anlagen wird die komplette Industriehalle und das Bürogebäude beheizt.  

Nachhaltigkeits-Zertifikat vom TÜV

Der Catering-Betrieb Lehmanns aus Bonn versorgt vor allem Schulen mit warmem Mittagessen. 200 Mitarbeitende kochen jeden Tag rund 15.000 Essen und liefern sie an die Kunden aus. Dabei hat er in den vergangenen Jahren schon viele Stellschrauben hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft gefunden. Vom TÜV Rheinland ist er dafür zertifiziert worden.

In jeder Schule wertet Lehmanns genau aus, was die Kinder am liebsten essen.Für Geschäftsführer Stefan Lehmann kam spätestens seit den Demonstrationen von Fridays for Future viel Bewegung in die Entwicklung hin zu mehr Nachhaltigkeit. Die Demonstrierenden sind zum großen Teil Schülerinnen und Schüler, also seine Kundschaft. Und oft sind auch die Eltern recht umweltbewusst. „Wir haben dann alle Dinge, die wir schon getan haben, in einem Nachhaltigkeitskonzept zusammengefasst. Und das wächst nun schon seit drei Jahren stetig“, so Lehmann: 100 Prozent Ökostrom in allen Betriebsstätten, Dienstfahrzeuge – wo möglich – mit Elektromotor, mehr als 60 Prozent vegetarische Speisen im Angebot, mehr saisonale und Bio-Produkte, mehr nachhaltige Verpackungen, Reste auf ein Minimum reduzieren. Seit 2019 wird der Caterer vom TÜV Rheinland im Segment Nachhaltigkeit mit der höchsten Bewertungsstufe „Premium“ zertifiziert.

Lehmanns Junior und Senior sind stolz auf ihren Catering-Betrieb mit 200 Mitarbeitenden.In einem deutschlandweiten Netzwerk von zwölf familiengeführten Catering-Unternehmen erhielt Lehmann eine gute Idee zum Thema Müllvermeidung, die er seitdem umsetzt. Die Speisereste werden nun in den einzelnen Einrichtungen täglich erfasst und zurückgemeldet. So können die Verantwortlichen genauer rückschließen, an welcher Schule mehr Reis, mehr Soße oder Gemüse gegessen wird. Und auch wenn es in der Kommissionierung der Lieferungen kompliziert wird: Das Unternehmen richtet sich akribisch nach den Rückmeldungen der Kundschaft. Nächstes großes Thema im Netzwerk ist, wie zum Beispiel Allergiker-Essen hygienisch und trotzdem umweltbewusst verpackt werden kann. Und aus welchem Material wiederverwertbares Essgeschirr sein müsste, beziehungsweise wie man in Schulen dafür ein Pfandsystem einrichten könnte.

Kann ökologisches Handeln wirtschaftlich sein?

Wer Lösungen für eine nachhaltige Zukunft findet, kann nicht falsch liegen. Pro Trockeneis baut energiesparende Produktionsanlagen und vermarktet diese weltweit. Werner Böhm wird nun von vielen Branchenkollegen darauf angesprochen und teilt seine Ideen gern. „Mit dieser Offenheit haben uns anfangs einige Leute für naiv gehalten, weil wir alles zeigen und darüber reden. Aber am Ende verdienen wir damit Geld“.

Mittlerweile hat sich auch hier ein gutes Netzwerk unter Kollegen entwickelt. Da viele der Partner die Maschinen und Kisten bei seiner Firma bestellen, ist daraus ein neuer Vertriebszweig geworden. Werner Böhm und seinem Sohn Alexander ist das mehr als recht.  Der nächste Schritt: Beide entwerfen nun gemeinsam mit einem Folienhersteller eine kompostierbare Verpackung für ihr Trockeneis. Das kostet ein paar Cent mehr, könnte aber auch zum Verkaufsschlager bei Mitbewerbern werden.

Imagegewinn durch nachhaltiges Handeln

Unternehmen, die so denken, haben sowohl bei Kunden als auch bei potentiellen Mitarbeitenden ein gutes Image. Susanne Skiba von andres bestätigt: „Wir haben zunehmend mehr Kunden, denen das Thema Im Firmengebäude in Niederkassel sind Design, Vertrieb und Fertigung untergebracht.Ressourcenschonung wichtig ist, und wenn ein Unternehmen mit Nachhaltigkeit wirbt, sollte es sich auch im Handel nachhaltig präsentieren. So bedingt der ökologische Aspekt den ökonomischen.“ Die Firma will ihre Materialpalette kontinuierlich ausbauen. Und weiter lernen, testen und netzwerken. Natürlich gebe es im Ausland Unternehmen, die günstiger produzierten, so Skiba weiter. „Wir punkten mit einem Full Service von einem Standort aus. Auch kurze Wege sind ein wichtiger Nachhaltigkeitsaspekt.“

Auch der Caterer Lehmanns steht vor der Frage, wie er gesundes Essen mit vielen Biokomponenten für einen möglichst kleinen Preis anbieten kann. „Bisher haben wir das über Wachstum und die Optimierung der Prozesse geschafft“, so der Geschäftsführer. Mittelfristig hofft er darauf, dass die Wertschätzung für gute Lebensmittel in der Kundschaft noch wächst, und damit die Bereitschaft, für gutes Essen auch etwas mehr auszugeben. Seine Nähe zu den Kunden, denen er so auch seine Leitlinien in Sachen Nachhaltigkeit gut vermitteln kann, wird ihm dabei helfen. Für Dr. Darya Hirsch von der Hochschule Bonn/Rhein-Sieg ist das ein ganz wichtiger Faktor: „Tue Gutes und rede darüber – das ist mit Nachhaltigkeitskommunikation möglich. Gerade kleine und mittelständische Unternehmen können so ihre Chancen auf dem Markt weiter ausbauen, wenn sie ihre Nachhaltigkeit kennen und kommunizieren.“

Die IHK Bonn/Rhein-Sieg wird in den kommenden Monaten einen Handlungsschwerpunkt auf das Thema #NachhaltigWirtschaften setzen. Mit Veranstaltungen, Workshops und Veröffentlichungen. Auch im IHK-Podcast „Unternehmen Zukunft“ dreht sich alles um die Nachhaltigkeit. IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Hubertus Hille und die Bonner Wirtschafts-Förderin Victoria Appelbe erklären hier ihre Sicht der Dinge.

Mehr Informationen gibt es hier:

 

Umfrage der IHK: Regionale Daten sammeln

Wie es den Unternehmen in der Region geht, was sie planen und wo sie Bedarf an Infos haben, interessiert die IHK. Daher hat die Kammer eine kurze Umfrage entworfen und freut sich, wenn möglichst viele Unternehmen teilnehmen. Abrufbar ist sie unter dem Link https://www.ihk-bonn.de/index.php?id=3773. Das Ausfüllen dauert höchstens zehn Minuten. Die regionalen Daten und Informationen sollen in den nächsten Nachhaltigkeits-Report einfließen, der im kommenden Jahr erscheint.